Splitter und Balken


Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders und nimmst den Balken in deinem eigenen Auge nicht wahr? (Matthäus 7,3) 


Du warst mein Held, mein Großer.

Ich hab auf dich gebaut.

Dein Reden, Glauben, Leben –

ich hab dir so vertraut!

Als deine Welt ins Schleudern kam,

da taumelte ich mit.

Ich steh auf dünnem Boden,

hab Angst, daß er zerbricht.

 

Wie kannst du mir das antun,

zu fallen ohne Grund?

Reiß dich zusammen, los, steh auf!

Du warst doch sonst gesund!

Hab vom Abgrund nichts geahnt,

hast dich so lang gewehrt.

Warfst alles über Bord,

willst leicht sein, unbeschwert.

 

Und ich zeige mit dem Finger,

richte mit eiskalter Hand.

Ich schlage deine Wunde,

ich habe dich verbannt.

Denn der Splitter in deinem Auge

nimmt dir die klare Sicht.

Lass mich dir helfen, dich befreien –

Komm her und wehr dich nicht.

 

Ich schaue in den Spiegel

ganz selbstgerecht und stolz

und sehe voll Entsetzen

ein großes Stück aus Holz.

Stellt Fragen nun an mich:

„Wirfst du den ersten Stein?“

„Wer fängt dich auf, dein Fallen?“

„Wer wird dir gnädig sein?“

 

Und auf mich zeigt da mein Finger,

richtet mit eiskalter Hand

und sticht in meine Wunde.

Bin gnadenlos verbannt;

denn der Splitter in deinem Auge

und der Balken, aus dem mein Stolz,

erschrecken mich, sind sich so gleich,

sind aus demselben Holz.

 

Auf einmal kann ich sehen, ich steh in hellem Licht

und weiß genau, du brauchst mich jetzt und kein Gericht!

Komm, lehn dich an, ich bin bei dir, bis nichts die Sicht uns nimmt!

Ich habs begriffen, habs kapiert: Wir beide sind sein Kind.

 

ER zeigt nicht mit dem Finger,

richtet nicht mit eiskalter Hand.

Verbindet unsre Wunden,

stellt uns auf neues Land.

Und den Splitter in deinem Auge

und den Balken, aus dem mein Stolz,

hat er getragen und verbannt

auf kantig, rauhes Holz.

 


Text: Sabine Schmidt

Musik: Thea Eichholz-Müller

Arrangement: Florian Sitzmann

© 2000 Musikverlag Klaus Gerth, Asslar


 

Dieser Song stammt aus dem Album "Wohin sonst"