"Wegsehen vom eigenen Jammer"

Maren Hoffmann-Rothe im Gespräch mit Thea Eichholz-Müller

für die Zeitschrift "Joyce"


„Breite deine Flügel aus“ ist ein mutiger Titel zu einem ruhigen, getragenen und doch beflügelnden Album. Es ist das Album, an dem Thea Eichholz-Müller schon vor dem Tod ihres Mannes und gemeinsam mit ihm gearbeitet hat. Eine CD, die für Menschen, die sich nach Ermutigung sehnen, genau richtig ist. Maren Hoffmann-Rothe sprach mit ihr über die neue Produktion, die dennoch voller Hoffnung und ehrlicher, positiver Texte ist.

 

MHR: Ihre Texte vermitteln eine starke Geborgenheit in Gott. Wie haben Sie ihn kennen gelernt?

 

TEM: Ich gehöre zu den Menschen, die mit dem christlichen Glauben aufgewachsen sind. Durch meine Eltern, CVJM, Jungschar etc. Besonders kann ich mich jedoch noch daran erinnern, dass mir meine Großmutter mit unendlicher Geduld aus meiner schon zerfledderten Kinderbibel vorgelesen und mit mir gesungen hat.

 

MHR: Wie würden Sie Gott beschreiben?

 

TEM: Es gibt ein Lied von Christoph Zehendner, das ich vor Jahren mit ihm gesungen habe: "Nicht zu fassen, für mich nicht zu begreifen. Nicht zu fassen, und doch unfassbar nah! Nicht zu fassen, ich kann nur stehen und staunen. Und fassungslos erleb' ich: du bist da." Darin drückt sich die eine Seite Gottes für mich aus. Der Unfassbare, der Schöpfer, der Heilige. Aber das allein wäre nichts, was mich in meinem Menschsein wirklich berührt und letztendlich beeinflusst. Doch dann habe ich noch den Menschgewordenen vor Augen, den Gekreuzigten – den, der die Kinder auf den Arm nahm und segnete, der um seine und mit seinen Freunden weinte und seinen Jüngern die Füße wusch ... Und damit nicht genug: der Heilige Geist, ohne den sich mir auch nicht ein Körnchen dieser Wahrheit erschließen würde. Das alles und noch viel mehr ist Gott für mich. Solange ich lebe, wird es wohl kein Ende einer Beschreibung geben, keine endgültige Aussage oder Erfahrung, hinter der nur noch ein Punkt steht.

 

MHR: Der Anfangstitel der CD heißt "Gewöhn mein Herz an die Ewigkeit". Welche Bedeutung hat Ewigkeit für Sie?

 

TEM: Meine eigentliche Heimat, die meine Sehnsucht auf dieser Erde bestimmt. Unendliche Gottesnähe – keine Ahnung, wie wir das dann überhaupt aushalten! Es ist der Ort, an dem ich geliebte Menschen wieder sehe. Der Ort, an dem ich keine Fragen mehr habe.

 

MHR: Was in Ihnen muss sich noch an die Ewigkeit gewöhnen?

 

TEM: Der Teil von Thea, der sich das Herz schwer macht mit Dingen, die in der Ewigkeit einfach zerfallen, unwichtig, also nicht mehr vorhanden sind. In der Ewigkeit werden wir mit Leib und Geist so sein, wie Gott uns eigentlich gedacht hat. Mein Perfektionismus oder meine körperlichen Schwächen, meine Verzagtheit, mein Kleinglaube oder meine Arroganz werden mir dann endlich nicht mehr im Weg sein, Gott frei zu begegnen. Darauf freue ich mich unglaublich.

Aber ich weiß auch, dass Reich Gottes schon hier beginnt. Und das will ich auch schon hier und jetzt in meinem Leben praktisch erfahren.

 

MHR: In dem Begleitheft haben Sie zu fast jedem Titel ein paar Sätze geschrieben. Zu "Wenn du mich sähst" nicht. Worum geht es in dem Lied?

 

TEM: Wenn ein geliebter Mensch stirbt, fragt man sich: Wo ist er jetzt? Wie geht es ihm? Wie ist der Ort, an dem er nun angekommen ist? Als mein Mann im Oktober 2003 an Krebs starb, hatte ich unendlich große Sehnsucht nach diesem fernen und doch so nahen Ort. Nicht in dem Sinne, dass ich auch sterben wollte. Aber ich hatte einen großen Wissenshunger. Ich verschlang alles, was ich über die Ewigkeit, den Himmel, unser Sterben und das Leben danach in der Bibel finden konnte. Und ich begann mir vorzustellen, wie Bernd-Martin "ankam". Als mein Mann so krank war, habe ich mit ihm gelitten, mit ihm geweint. Als er gestorben war, wurde mir nach und nach bewusst – als flüsterte er es mir zu – dass wir nicht um die weinen müssen, die bereits sehen, was wir glauben. Wir dürfen um unseren Verlust weinen. Natürlich! Aber ich konnte aufhören, ihn immer noch als den Kranken, den Leidenden zu seheh. Es hat sich mein Blick für den Moment geöffnet, wo Jesus uns "in Empfang nimmt". Das hat mich sehr getröstet.

 

MHR: Gibt es etwas, was nach Ihrer persönlichen Erfahrung in schwierigen Zeiten für uns Christen wichtig ist zu tun?

 

TEM: Ich nehme ungern den Mund voll mit guten Ratschlägen. Weiß ich denn, was auf mich noch zukommt und wie ich dann reagiere? Ob ich dann noch mit Gott reden will? Doch eines ist mir wichtig: Gott suchen, immer wieder, immer neu. Und ich habe die Erfahrung gemacht, wie wertvoll es ist, Freunde an sich heran zu lassen, die einen tragen, wenn man nicht mehr selbst "zu Jesus gehen kann", wie der Gelähmte. Mir bedeutet die Jahreslosung sehr viel. Denn mein Gebet war und ist noch heute: Lass mich nicht an dir (ver-)zweifeln, mein Gott, lass mich und meinen Glauben nicht zuschanden werden.

 

MHR: Wahrscheinlich werden Sie mit den Liedern auch Konzerte geben. Wie geht es Ihnen damit? Die Lieder sind so eng verbunden mit der letzten gemeinsamen Zeit mit Ihrem Mann Bernd-Martin ...

 

TEM: Ein Konzertprogramm würde sicher nicht alle Titel der CD beinhalten, sondern eher eine Mixtur aus verschiedenen Phasen meines Lebens darstellen. Zum anderen sind natürlich auch Songs enthalten, die mir selbst immer wieder mal einen Kloß in die Kehle treiben. Doch ich habe diese Lieder ja sozusagen schon mehrfach "durchgekaut". Eine schwere Zeit war sicherlich die der Studioaufnahmen. Die fielen genau in den sich jährenden Zeitraum des Sterbens meines Mannes. Das war hart und zugleich auch heilend. Ich konnte dem Ganzen nicht ausweichen, hatte aber dennoch eine Möglichkeit der "praktischen" Verarbeitung. Die ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Sämtliche Lieder der CD sind zwar in dem Zeitraum nach der Erkrankung entstanden, aber es geht ja nicht nur um dieses Thema. Das ist etwas, was mich persönlich gleichermaßen erfreut wie verwundert. Gott schafft es tatsächlich, dass wir immer wieder vom eigenen Jammer wegsehen können, hin zu Geschenken, die er für uns bereithält. Das finde ich unglaublich, denn das entspricht eigentlich nicht der Thea, die ich kenne. Das ist Gott.

 

Maren Hoffmann-Rothe

ist verheiratet und Mutter von Benjamin, arbeitet als freiberufliche Moderatorin u. a. für Bibel-TV, engagiert sich leitend in der Gemeinde Haus Gottes in Gießen-Linden und wohnt in Wetzlar.

 

[Interview Maren Hoffmann-Rothe für Joyce, 2/2005]